220 Selbstanzeigen nach §278a and still counting
Die vorliegende Anklage nach §278a StGB lässt sich etwa so verstehen. Sagen wir, eine Gruppe namens Al Kaida sprengt das World Trade Center in den USA. Eine Person in Österreich, die niemanden dieser kriminellen Organisation namens Al Kaida persönlich kennt und keinerlei Kontakt zu dieser Gruppe hat, schreibt ein Flugblatt, in dem sie diesen Anschlag unterstützt. §278a StGB lässt sich jetzt dafür einsetzen, diese Person als Mitglied von Al Kaida zu bezeichnen und strafrechtlich zu verfolgen. Sie hätte durch ihre Handlung auf andere Weise
die Ziele der kriminellen Organisation gefördert.
So passt dieses Beispiel aber noch nicht auf die Tierschutzcausa. Niemand dort hat Flugblätter geschrieben oder verbreitet, die für eine kriminelle Organisation werben. Also erweitern wir das Beispiel: Sagen wir, die Person verbreitet Flugblätter, die sich gegen die USA wenden und quasi implizit verständlich machen könnten, warum Al Kaida das World Trade Center gesprengt hat.
In der Tierschutzcausa wirft der Staatsanwalt den Angeklagten vor, sie hätten auf andere Weise
, nämlich durch das Abhalten von Demos, das Organisieren von Kongressen oder das Durchführen von Workshops, die Tierschutzziele der angeblichen kriminellen Organisation (z.B. gegen Pelz und gegen Legebatterien zu sein) unterstützt und dadurch ideell und indirekt ihnen unbekannte Personen zu Straftaten motiviert.
Univ.-Prof. Petra Velten, Institutsvorstand des Instituts für Strafrechtswissenschaften der Universität Linz, meint, §278a wäre dazu geschaffen, den Sympathisantensumpf
von radikalen Gruppierungen auszutrocknen. Seine Anwendung im Tierschutzverfahren geht aber noch darüber hinaus: alle Aktiven, die nicht bei Bekanntwerden einer Straftat zu einem spezifischen politischen Ziel, sofort alles stehen und liegen lassen und ihre Kampagnentätigkeit einstellen, machen sich strafbar!
Diese Schlussfolgerung zeigt deutlich, wie gefährlich §278a nach dieser Lesung für die kritische Zivilgesellschaft wird. Der Tierschutzprozess wird also ein sehr wichtiger Präzedenzfall für die Zukunft der Demokratie in Österreich sein.
Um diesen Widerspruch zwischen §278a und der Demokratie schmerzhaft deutlich zu machen, wurde von der Plattform gegen die Kriminalisierung von politischem Engagement das Projekt Selbstanzeige ins Leben gerufen. Dabei unterschreiben die Menschen ein Statement, das genau obige Anklagebedingung wiedergibt: Ich habe mich aktiv an einer Kampagne beteiligt, die eine übliche NGO-Kampagne ist, für deren Ziel aber auch Unbekannte irgendwann irgendwo eine Straftat gesetzt haben, was mir durchaus bewusst war. Ich habe mich trotzdem für diese Kampagne engagiert.
Den genauen Wortlaut findet man hier:
vgt.at/hinweise/20100223Selbstanzeigen/Selbstanzeige.pdf.
In einem ersten Schwung haben bereits 220 Personen diese Selbstanzeige unterschrieben. Sie wurden am 15. Februar 2010 der Staatsanwaltschaft Wien übergeben. Seitdem sind bereits mehr als 20 weitere Unterschriften eingegangen. In den nächsten Wochen wird es also eine zweite Anzeigenwelle geben. Wer sich beteiligen will, ist herzlich eingeladen.
Natürlich bedarf das einer gewissen Zivilcourage, aber ohne diese ist eine Demokratie nicht möglich. Was wird mit den Selbstanzeigen geschehen? Wird es weitere Anklagen geben?
Diese Selbstanzeigen sind ernst gemeint. Sie sind nicht eine symbolische Solidarisierung ohne Gehalt. Sie zielen darauf ab, dass die Staatsanwaltschaft Farbe bekennen muss. Entweder dieser Vorwurf reicht für eine Anklage aus, dann bitte gegen alle, schließlich sind laut Verfassung alle vor dem Gesetz gleich. Oder dieser Vorwurf reicht nicht aus, dann müssten die Anklagen nach §278a im Tierschutzprozess umgehend eingestellt werden.
240 Personen, die erklären, dass sie unter diesen Bedingungen auch als Mitglieder einer kriminellen Organisation auf der Anklagebank Platz nehmen müssten! Das ist eine sehr deutliche Ansage. Einige der Personen, gegen die die Verfahren eingestellt wurden, haben sich sogar umgehend wieder selber angezeigt. Österreich ein Land der Zivilcourage? Neue Perspektiven tun sich auf! Wir dürfen gespannt sein, wie die Staatsanwaltschaft jetzt reagiert.